
Vor ein paar Tagen hatte ich ein intensives Gespräch mit einer Klientin, die gerade eine für ihre Gesundheit sehr herausfordernde Zeit durchlebt. Für ihr relativ hohes Alter und die Schwere Ihrer Erkrankung hatten wir schon viele wertvolle Trainings absolviert und es geschafft, ihre Muskelmasse erhalten zu können. Zu Beginn dieser Trainings-Session stellte sie mir nun eine Frage, die mich etwas erschreckte. Sie saß mit Tränen in den Augen vor mir und sagte "Wie kannst Du das mit mir nur aushalten? Du bist so sportlich und hast sonst auch nur gut trainierte Menschen um Dich. Ich dagegen kann gerade noch nicht mal einen einzigen Liegestütz! Wie frustrierend muss das für Dich sein!"
Natürlich stellte ich sofort klar, dass sie sich mit ihrer Einschätzung tüchtig geirrt habe. Und das nicht nur mit der Beurteilung meiner übrigen Klienten. Immer wieder werde ich auch mit Vorurteilen meiner Person und meinem Berufsbild gegenüber konfrontiert. Ich glaube, etwas mehr als nur die "Turnlehrerin" zu sein. Und: den Trainierenden ohne körperliche oder mentale Themen gibt es nicht, oder zumindest nicht in meinem Gym. Auch darüber möchte ich an dieser Stelle mal reden:
Sei ehrlich, wenn Du früher an einen Personal Trainer gedacht hast, hattest Du wahrscheinlich so etwa eine Mischung aus Drill Sergeant und buddhistischem Mönch im Kopf. Diese Vorstellung ignoriert heute gänzlich die Realität, zumindest bei mir. Gut, ich hab so meine Eigenheiten. Ich gehe früh schlafen und entsprechend früh stehe ich auf. Das hat aber nicht etwa was mit perfekter Chronobiologie zu tun, sondern damit, dass ich den frühen Morgen sehr mag. Die Stille, die Vogelstimmen, die Frische beim Hundespaziergang, das gibts spät abends nicht. Auch gehe ich morgens nicht Joggen (wenn Du Läufer bist und das hier liest: ich weiß, dass es LAUFEN heißt) und mache vor dem ersten Kaffee keine 100 Liegestützen oder 200 Ausfallschritte. Dazu hab ich einfach so früh keine Lust. Denn mein Leben besteht nicht nur aus Sport, Salat und Selbstverleugnung. Ich hab ein ganz normaleres Leben und das gelegentliche Bedürfnis, einfach mal nicht perfekt zu sein.
Okay, ich hab' meine täglichen Proteine in Check, 3-4 x pro Woche mache ich Sport und ich steige aus dem Tag mit einer 10-minütigen Meditation. Dennoch glaube ich, authentisch zu sein und immer noch einen Bezug zur echten Welt zu haben. Dabei helfen mir prima meine Erinnerungen an mein früheres Leben mit gänzlich anderem Job, fiesen Rückenschmerzen und 20 kg mehr auf den Rippen.
Ich bin also nicht nur "Sportcoach" sondern auch Mensch, Zuhörerin, Motivatorin und Therapeutin. Ich gebe Impulse nach dem ich mir die Sorgen angehört habe, helfe mit Atemübungen beim Stressabbau und vermittle hauptsächlich zwischen Körper und Kopf. Dazu nutze ich meine Empathie – und die ist nicht auf der Hantelbank gewachsen, sondern im echten Leben.
Klar bin ich happy, wenn mein Klient oder meine Klientin mit Hilfe meiner Kompetenz die erste tiefe Kniebeuge seines/ihres Lebens technisch einwandfrei geschafft hat. Mindestens genauso happy bin ich jedoch, wenn nach Chemotherapie und Bestrahlung ein scheinbar kleiner Sprung auf die Holzbox geklappt hat.
Mein persönliches Ziel jeder einzelnen Trainingssession ist es, meinem Schützling hoffentlich einen Mehrwert geboten zu haben und ihn mit einem Lächeln nach Hause gehen zu lassen. DARAUS ziehe ich meine Energien.
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